Was ist kreatives Schreiben?

Kreatives Schreiben berührt Dimensionen von Spiel und Geselligkeit über Literaturproduktion und Handwerkszeug bis zu befreiendem Selbstausdruck und Selbstverortung. Kreatives Schreiben ist ein Koffer voller Methoden, die das Prozesshafte des Schreibens betonen und bei jeder Art des Schreibens, für jeden Schreibauftrag gewinnbringend eingesetzt werden können.

Kreatives Schreiben wird je nach Kontext oder zugeschriebener Funktion unterschiedlich definiert. Mein Ansatz vom Kreativem Schreiben versucht, alle Strömungen zu integrieren: den der Erwachsenenbildung, den therapeutischen, den journalistischen, den wissenschaftlichen, den schulischen, den der AutorInnen­aus­bil­dung.

Geschichte

Am Anfang war ... nicht die Definition. Erfunden haben das Kreative Schreiben nicht die, die das, was sie taten und tun, Kreatives Schreiben genannt haben. Diese waren noch nicht einmal die Ersten, die das, was heute Methoden des Kreativen Schreibens sind, bewusst in ihren Tätigkeitsfeldern eingesetzt haben: Wussten nicht schon vor Tausenden von Jahren SchamanInnen von der therapeutischen Kraft der Worte oder PhilosophInnen vom heuristisch-epistemischen Potenzial des Schreibens? Haben nicht die antiken GriechInnen die literarisch-produktive Geselligkeit praktiziert, PsychiaterInnen um 1900 das Automatische Schreiben als Behandlungsmethode eingesetzt und der Reform¬pädagoge Celestin Freinet in den 1920er Jahren Kinder zum Schreiben und Drucken selbstbedeutsamer und kommunikativer Texte aufgefordert?

Zum ersten Mal aufgetaucht ist der Begriff – hier: Creative Writing – Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA. Dort hat sich das Kreative Schreiben an den Hochschulen etabliert, zum Einen als Writing across the Curriculum für alle Studierenden (damit sie nicht am Verschriftlichen scheitern und das Schreiben als Denkmethode entdecken können), zum Anderen als Creative Writing in der AutorInnen-Ausbildung.

Kontexte

In Deutschland (BRD alt) ist der Begriff Kreatives Schreiben verbunden mit sechs Kontexten:

  1. Schule/Lehramtsstudium: In den 1970er Jahren zog der Begriff ein in die Deutschdidaktik, in der ein Paradigmenwechsel weg vom klassischen Aufsatzunterricht hin zur schreiber-relevanten und kommunikativen Textproduktion stattgefunden hatte (passend zum allgemeinen Denken hin zum sog. Produktionsorientierten Unterricht); mittlerweile ist das Kreative Schreiben in den Lehrplänen aller Schulstufen und -formen etabliert.
  2. Erwachsenenbildung: Im Zuge der sog. Neuen Sozialen Bewegungen (Anti-AKW-, Frauenbewegung etc.) entstanden in den 1980er Jahren die ersten Schreibwerkstätten, vorrangig an Volkshochschulen; Spielen mit Sprache und das Motto ,Schreiben befreit’ sowie der Aspekt der literarischen Geselligkeit (Schreiben in der Gruppe) standen im Vordergrund. Jünger ist das Einsatzgebiet ,Deutsch als Fremdsprache’.
  3. Biblio-/Poesietherapie: Ebenfalls in den 1980er Jahren etablierte sich mit der Gründung von Instituten (u. a. das gestalttherapeutisch positionierte Fritz-Perls-Institut in Hückeswagen) die Erkenntnis, dass Schreiben (und Lesen) heilsam sein kann und somit in therapeutischen Prozessen einsetzbar ist.
  4. AutorInnenausbildung: In den 1990er Jahren wurde – ausgehend von der Abkehr vom spezifisch deutschen Geniekult – das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig (neu) gegründet; hier werden seither AutorInnen ausgebildet, die sich nach ihrem Studium auf dem Literaturmarkt etablieren können sollen.
  5. Wissenschaft/Hochschule: Seit den 1990er Jahren versuchen Schreibzentren (angelehnt an die Schreibzentrums-Idee aus den USA) sich an Universitäten zu etablieren; parallel (und passend) dazu ist die fächerübergreifende Entwicklung einer prozessorientierten Schreibdidaktik zu sehen.
  6. Journalismus: Um den Jahrtausendwechsel werden auch erstmals Prozesse journalistischen Textens quasi unter die schreibkreative oder die Prozesse fokussierende Lupe genommen.

In der DDR ist die Entwicklung anders verlaufen. In den Bereichen Erwachsenenbildung und AutorInnenausbildung setzte die 1. Bitterfelder Konferenz 1959 Akzente; es entstanden in den 1960er Jahren Hunderte Zirkel schreibender Arbeiter (an der sich in der BRD später der Werkkreis der Literatur der Arbeitswelt orientierte) und das Johannes R. Becher-Institut in Leipzig (1995 neugegründet als Deutsches Literaturinstitut Leipzig), an dem AutorInnen ausgebildet wurden. Dieser Prozess wurde später Bitterfelder Weg genannt.

Meine Lehrveranstaltungen seit 1993 (Auswahl)

Kontext Erwachsenenbildung

seit 2010Schreibreisen u. a. nach Sylt und ins Kloster Germerode; seit 2012 auch mit Yoga, seit 2017 auch mit künstlerischem Gestalten
seit 1993Schreibwerkstätten mit autobiografischem und/oder literarischem Schwerpunkt an Volkshochschulen sowie in Kooperation mit anderen Bildungsträgern als offene Angebote oder für spezielle Zielgruppen (z. B. Frauen) bzw. mit speziellen Zielen (z. B. Kunst schreiben auf der Documenta 13)

Kontext Hochschule

seit 2007Dozentin im Masterstudiengang Biografisches und Kreatives Schreiben an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin für die Fächer Schreibgruppenpädagogik und Schreibgruppendynamik sowie Vertiefung pädagogischen Wissens mittels reflexiver Schreib-Praxis
seit 1997Lehraufträge zum kreativen, wissenschaftlichen und berufsorientierten Schreiben an Hochschulen in Kassel, Göttingen und Berlin

Kontext Poesietherapie

seit 2011 Schreibgruppenangebote zu heilsamen Schreiben

Kontext Journalismus

seit 2009Trainings ,Berufliches Schreiben‘ für Teams öffentlicher Dienstleister
seit 1993Workshops zu Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Laienredaktionen (Print, Radio, Web), Vereine und Verbände

Kontext Schule

2002-2007Wörterwerkstätten mit Jugendlichen an Gesamtschulen und Gymnasien bzw. in Kooperation mit der Gemeinde Kaufungen und Volkshochschulen der Region Nordhessen.
Unterrichtsprojekte an Grundschulen (4. Klasse) und Gesamtschulen (5./6. Klasse) im Landkreis Kassel mit den Schwerpunkten Märchen, Lyrik oder Freundschaft
2005-2009Wörterwerkstatt und Hauptschulprüfungsvorbereitung (Deutsch, Englisch, Arbeitslehre) in der Jugenddrogenhilfe Willingshausen-Leimbach

Meine Lehrphilosophie

Wenn Sie bei mir einen Kurs besuchen oder sich beraten lassen wollen, erwartet Sie kein Vortrag. Sondern: Sie werden aktiv. Sie schreiben. Ich frage nicht, wie Schreibende/Lernende/Ratsuchende sind, auch nicht, was ich als Lehrende tun sollte, sondern wie ich Lehre/Beratung so gestalten kann, dass Schreibende/Lernende/Rat¬suchende in ihren Wahrnehmungs-, Verstehens- und Reflexionsprozessen gefördert werden, indem sie selbst aktiv sich das zu Lernende aneignen. Das geschieht in Einzel-, Partner- und Kleingruppenarbeit mit Methoden des Kreativen Schreibens.

Mir ist der produktionsorientierte Selbsterfahrungsaspekt vor allem in der Vermittlung der Funktionen und Potenziale sowie des Handwerkszeugs des Schreibens wichtig; in den Sequenzen, in denen es um die befreiende Wirkung des Schreibens oder um die Weckung kreativer Lust am schriftsprachlichen (künstlerischen) Ausdruck geht, ist er selbstverständlich.

Meine Ziele in der Gruppenarbeit lassen sich kurz so skizzieren: den Zugang zur inneren Stimme, zu allen Funktionen des Schreibens und die treffenden Wörter, die ,richtige Sprache’ finden für das, was man sagen will, sich als handelndes Individuum in Interdependenz mit Anderen und der Welt weiterentwickeln. Ich möchte dazu verhelfen, erstens Schriftsprachrepertoires zu erweitern, zweitens den Grad der Reflexivität zu erhöhen, weil über das Schreiben selbst nachgedacht wird, drittens Handwerkszeug an die Hand zu bekommen (u. a. um Schreibschwierigkeiten zu überwinden) und viertens Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen sowie Welterschließungsmöglichkeiten zu erproben.